Kreuzschnabel im Frankenwald
„Gesegnet sollst du sein und als Erinnerung an deine Tat soll dir für alle Zeit der Name `Kreuzschnabel` bleiben.“ So endet eine fromme Volkslegende, nach der sich ein kleiner Vogel beim verzweifelten wie vergeblichen Versuch, dem gekreuzigten Jesus die Nägel aus den Wunden zu ziehen, den Schnabel verbogen hat. Seine Schnabelform und seine ungewöhnliche Lebensweise gaben diesem Finkenvogel schon immer etwas Rätselhaftes und Geheimnisvolles, das die Menschen interessierte und beschäftigte.
„Von den europäischen Kreuzschnabelarten lebt und brütet ganzjährig im Frankenwald der Fichtenkreuzschnabel“, sagt Peter Hagemann vom Forstbetrieb Rothenkirchen der Bayerischen Staatsforsten. Und ganzjährig bedeute tatsächlich ganzjährig: „Er ist wirklich der einzige Vogel, der zu allen Jahreszeiten brütet. Häufig sogar mitten im Winter, wenn mit den reifen Samen von Fichten und Lärchen der Tisch für die Jungenaufzucht am reichsten gedeckt ist.“ Sogar das brütende Weibchen werde vom Männchen damit gefüttert, da das Gelege in dieser Zeit ununterbrochen gewärmt werden müsse. „Nur mit dem gekreuzten Schnabel als Spezialwerkzeug kann er dazu die Zapfen hoch oben am Baum öffnen.“
Auch außerhalb der Brutzeit zieht es den Kreuzschnabel in kleinen Schwärmen immer zu zapfentragenden Bäumen an verschiedene Orte. „Das hat ihm den früher den Namen `Zigeunervogel` eingebracht“, so Hagemann. Und wenn einmal kein Samenjahr ist? Der Tettauer Olaf Schmidt, heute Präsident der Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft, berichtete in einer ornithologischen Fachzeitschrift über den Winter 1987, in dem Kreuzschnäbel im Staatswald des Tettauer Winkels mangels Zapfen in großer Menge Fichtentriebe abgezwickt und dann die Knospen ausgefressen hätten. Hagemann: „Die Fichte ist und bleibt also sein Lebensbaum. Das hat den Kreuzschnabel über die Jahrhunderte untrennbar mit dem Frankenwald verbunden. Genauso, wie ihn der Mythos um seine symbolhafte Schnabelform und seine winterliche Brutzeit zu einem Stück Kulturgeschichte des Frankenwaldes gemacht haben.“ Das betreffe nicht nur die christliche Legendenbildung sondern auch den Aberglauben. In einem Reisebericht über die Vogelhaltung im Frankenwald aus dem Jahr 1864 in der Zeitschrift „Gartenlaube“ sei beschrieben: „Man findet aber, wie auf dem Thüringer Walde, so auch auf den Höhen des Frankenwaldes fast in jedem Hause einen Kreuzschnabel.“ Und weiter: „Auch im Frankenwalde ist der Glaube weit verbreitet, dass der Kreuzschnabel gewisse Krankheiten, namentlich die Gicht, der Menschen an sich ziehe und alsdann sterben müsse.“
„Zum Glück wissen nicht nur wir Förster es heute besser“, ist Forstbetriebsleiter Hagemann erleichtert. „Uns liegt der Kreuzschnabel als wichtiges Glied des Ökosystems am Herzen - oder wie Olaf Schmidt in seiner Arbeit schon vor über 20 Jahren schrieb: `Jeder Forstmann und Naturfreund wird sich weiter an dem munteren Treiben der Fichtenkreuzschnäbel in den Kronen der Altfichten erfreuen. Kreuzschnäbel gehören unbedingt als typische Bewohner mit zur Lebensgemeinschaft unserer Nadelwälder`. Besser kann man es wohl nicht sagen.“