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Eine gute Wahl - der Walnussbaum ist "Baum des Jahres 2008"

Es liegt in der Natur der Sache, dass bei der Wahl zum „Baum des Jahres“ andere Gepflogenheiten gelten als bei einer Miss-Wahl. Ein Glück für die Walnuss, denn sie ist nicht gerade eine Schönheit. Imposant unter Umständen ja, schön eher nein. Das fängt schon damit an, dass sie als Letztes austreibt. Also während andere Bäume in der Blüte stehen und mit ihrem saftigen Grün den Frühling ins Land tragen, ist die Walnuss noch blattlos. Wenn es dann endlich so weit ist und wir ihr Blätterwerk betrachten, kommt nicht selten die Frage auf: Und dafür hat sie uns so lange warten lassen?

Handelt es sich bei ihr um das klassische hässliche Entlein, das sich in einen stolzen Schwan verwandelt? Nein, von einer solchen Märchenkarriere kann keine Rede sein: Die Walnuss bleibt Entlein. Besser gesagt, sie wird erneut dazu. So kann sie im Herbst keine farbigen Früchte darbieten; stattdessen wird sie als einer der ersten Bäume kahl. Und vollständig entblättert, kommen ihre äußerlichen Mängel erst recht zur Geltung – ein Schicksal, das sie mit uns Menschen teilt. Ausgezogen wirkt sie untersetzt. 

Spätestens jetzt mögen viele Leser argwöhnen: „Das ist schon ein ziemlich durchsichtiges Manöver, das der Verfasser dieses Textes betreibt. Erst stutzt er die Walnuss, den ‚Baum des Jahres’, zum Otto Normalo, um ihn anschließend umso großartiger hochleben zu lassen.“ Ich gebe zu: durchschaut.

Dabei könnte ich noch eine Weile weitermachen wie bisher. Denn auf dieser Internetseite hat der Walnussbaum nur am Rande etwas verloren; schließlich geht es hier um den Wald, und dort findet sich die Walnuss meist nur einzeln eingesprengt. So wie sie sonst auch vereinzelt im ländlichen Siedlungsraum, in Weinbaugebieten und an Waldrändern anzutreffen ist. Man muss sie deswegen nicht zum Einzelgänger oder Außenseiter stilisieren; für diese Vorliebe gibt es vielmehr einen einfachen Grund: Sie benötigt viel Licht, wobei sie spätestens mit 10 Jahren frei oder im lichten Bestand stehen muss, sonst geht sie wieder ein. Lediglich in ihren frühen Jahren erduldet sie Halbschatten.

Sie ist schon etwas Besonderes. So verwöhnt sie uns mit wohlschmeckenden Nüssen, ohne die die Vorweihnachtszeit nur halb so schön wäre. Wenn etwa eine große Erwachsenenhand den Nussknacker umschließt und mit einem brachialen Knacken die Nüsse freilegt, nach denen sich kleine Kinderhände verlangend strecken.

Walnüsse haben es in sich; sie nehmen aufgrund ihrer Nähr- und Inhaltsstoffe eine einmalige Stellung ein: So enthalten sie etwa 60 % Fett, 20 % Eiweiß, viel Vitamin B 1 und C, Spuren von Vitamin B 2, A und E sowie reichlich Mineralstoffe (u. a. Kalium, Kalzium, Eisen, Magnesium, Phosphor). Mit wenigen Walnüssen in der Tasche kommt man daher in Krisenzeiten gut über den Tag. Wer nun die Walnüsse zu öden Sattmachern abstempelt, tut ihnen unrecht, in gewissem Sinne sind sie sogar ausgesprochen heitere Früchte. Denn wenn wir jeden Tag zwei Walnüsse essen, wirkt sich das angeblich spürbar positiv auf unser Befinden aus.

Walnüsse sind nicht nur für unseren Bauch, sie sind auch Nahrung für unser Gehirn. Oder wie steht es um diese alte volksmedizinische Weisheit? Wenn man sich ihren Ursprung vor Augen hält, müsste man sie ganz schnell wieder vergessen. Jedenfalls sah man in der Struktur der Früchte Ähnlichkeiten mit dem menschlichen Gehirn – allein deshalb wurden Walnüsse als „Gehirnnahrung" empfohlen. Diese Ähnlichkeit ist durchaus gegeben, allerdings käme heutzutage niemand auf die Idee, daraus derartige Rückschlüsse zu ziehen. Das braucht man auch nicht; mittlerweile sind die Inhaltsstoffe längst erforscht. Und siehe da, Walnusskerne und Walnussöl sind sowohl Gehirn- als auch Nervennahrung und fördern die Konzentrationsfähigkeit. Walnussöl wird aber auch als Kosmetikum geschätzt; es zieht gut in die Haut ein und macht sie geschmeidig.

Neben den Nüssen ist vor allem das Holz des Baums von erlesener Qualität und gilt als eines der wertvollsten. Es ist relativ schwer und weist einen breiten graubraunen Farbkern auf, der auch tief schwarzbraun sein oder wolkige Strukturen zeigen kann. Was bei anderen Baumarten als „Holzfehler“ zur Wertminderung führt, ist bei Walnussholz gefragt (z. B. Astgabeln, Krümmungen, Knollen und Kröpfe). Insofern ist es nicht erstaunlich, dass Künstler gern mit diesem Holz arbeiten. Aus ihm entstehen Furniere, Möbel, Parkett, Innenausstattungen, kleine Gebrauchsgegenstände, Uhrengehäuse, Musikinstrumente, Schachfiguren, Drechslerwaren und vieles mehr. Gerade viele Biedermeiermöbel sind aus ihm gefertigt. Nicht zuletzt schätzen etliche Jägerinnen und Jäger das Walnussholz; schließlich sind ihre Gewehrschäfte daraus hergestellt. Die Nachfrage in Deutschland ist übrigens so hoch, dass der Bedarf nicht annähernd aus dem eigenen Bestand gedeckt werden kann. Die Anzahl der Walnussbäume in deutschen Wäldern ist im 20. Jahrhundert jedoch durch Übernutzung und fehlende Nachpflanzung stark zurückgegangen. Erst in jüngsten Tagen erlebt sie eine Renaissance – bei den Bayerischen Staatsforsten wird sie wieder regelmäßig gepflanzt.

Alles in allem ist der Walnussbaum doch ein recht kommerzieller Typ, der überall beliebt ist. Jedenfalls fast. Bei lästigen Insekten wie Mücken und Fliegen hat er nämlich keinen guten Stand. Daher wurde die Walnuss schon seit alters her möglichst nah an Haus und Hof gepflanzt.

Schade, aber allmählich müssen wir zum Ende kommen, dabei sind noch so viele Fragen offen. Einige können wir zumindest anreißen:

Sind gute Walnussjahre tatsächlich gute Weinjahre? Ja, das sind sie.

Hat der Name Walnuss etwas mit dem Wal zu tun? Nein, das hat er nicht. Der Name Walnuss stammt von Welsche Nuss (Die Deutschen bezeichneten früher die Gallier als Welschen.)

Wie steht es um die Walnuss als Aphrodisiakum und die volkserotische Empfehlung, dass frischgebackene Bräute viele Walnüsse essen sollen? Keine Ahnung – ausprobieren.

Nun bleibt zu hoffen, und eigentlich bin ich recht zuversichtlich, dass diese Wahl zum „Baum des Jahres“ mehr in der Erinnerung haften bleibt als die meisten Miss-Wahlen. Gründe dafür gibt es genug. Das wäre nicht nur ein Glück für die Walnuss, sondern auch für uns.

 

von Friedrich Krautzberger