Rückkehr auf leisen Sohlen
Eleganter Waldbewohner: Mit Schutzmaßnahmen und Kooperationen mit Partnern fördern die Bayerischen Staatsforsten die Wiederansiedlung der Wildkatze. (Foto: Heinz Spath)
DownloadIhr Ruf konnte kaum schlechter sein. Kam die Rede auf die Wildkatze, war bald von Charakterproblemen die Rede. Aggressiv war sie angeblich und unnahbar. Nachtaktiv und damit lichtscheu. Für ihr Ranking auf der Beliebtheitsskala hatte das Jahrhunderte lang fatale Folgen: am unteren Ende dümpelte sie vor sich hin, untertroffen nur noch von so illustren Gesellen wie Wolf und Bär. Eine ausgeprägte Sozialphobie hatte man der Einzelgängerin ins Zeugnis geschrieben, Vorrücken stark gefährdet. Mit Bär und Wolf teilte sie auch ihr weiteres Schicksal: sie wurde gejagt, getötet und als Gattung in Deutschland und anderen europäischen Ländern fast ausgerottet. Und das trotz ihres schnuckeligen Aussehens – sie sieht einer Hauskatze zum Verwechseln ähnlich. Und die rangiert bekanntlich seit Menschengedenken lässig schnurrend ganz oben auf der genannten Skala. Während die Hauskatze, ein Nachfahre der ägyptischen Falbkatze, sich vor Streichelangriffen kaum retten kann, musste ihr europäischer Verwandter sein Fell gegen ganz andere Übergriffe verteidigen. Mit einer wirklich herzlichen Abneigung wollte man ihr an Pelz und Kragen.
Wie das kommt? Ein klarer Fall von übler Nachrede. Der französische Schriftsteller Jean de la Fontaine bezichtigte sie in einer seiner berühmten Fabeln der Hinterlist und Mordlust – was ihr postwendend und für einige Jahrhunderte den Argwohn jedes recht schaffenden Zweibeiners eintrug. Die meisten Menschen sahen in ihr eine blutrünstige Bestie, die es auszurotten galt. Dazu kam, dass die Wildkatze bis weit ins zwanzigste Jahrhundert im Ruf stand, in Nahrungskonkurrenz zum Menschen zu stehen. Als vermeintlicher Konkurrent des Jägers – auf ihrem Speiseplan, so wurde gemunkelt, stehe Rehrücken – hatte sie einen mächtigen und vor allem gut bewaffneten Feind gegen sich. Die Folgen waren ebenso vorhersehbar wie dramatisch, denn einer der zuverlässigsten und schnellsten Wege, um sich als Gattung der Gefahr der Ausrottung auszusetzen, ist sich mit dem Menschen anzulegen.
Bis weit ins zwanzigste Jahrhundert trauerte man dem – wie man heute weiß – harmlosen Waldbewohner nicht nach. Kaum jemand machte für die Wildkatze einen Finger krumm, und wenn, dann beim Drücken des Abzugs. Gerade noch rechtzeitig fand ein Umdenken statt: Der Vorwurf der Nahrungskonkurrenz wurde von Sachverständigen ausgeräumt, die Anklage in Sachen Hinterlist und Mordlust wurde fallengelassen. Kurz: Die Wildkatze wurde rehabilitiert. Mit dazu beigetragen hat sicherlich, dass auf der Liste ihrer Lieblingsspeisen vor allem Kleinsäuger wie zum Beispiel Wühlmäuse stehen. Das Gerücht mit dem Rehrücken konnte einer Überprüfung nicht standhalten. Ein steiler Aufstieg auf der nach oben offenen Beliebtheitsskala begann. Denn ihrem eingangs erwähnten schlechten Ruf wird die Wildkatze sicher nicht gerecht. Das entstandene Misstrauen auf Seiten des Vierbeiners konnte jedoch durch die vertrauensbildenden Maßnahmen der letzten Jahre – Jagdverbot, Öffentlichkeitsarbeit, Schutzmaßnahmen – nicht abgebaut werden. Nach wie vor ist die nachaktive Wildkatze äußerst scheu und geht dem Menschen aus dem Weg. Immerhin konnte aber ein wichtiges Ziel erreicht werden: Die Wildkatze ist seit wenigen Jahrzehnten wieder heimisch in Bayerns Wäldern. Heute setzen ihr vor allem noch der Straßenverkehr, Siedlungstätigkeit des Menschen und die Zerschneidungswirkung der Infrastruktur zu. Wo und wie viele Katzen in Bayern leben ist noch unklar.
Immer noch gehört die Wildkatze zu den bedrohten Arten. Der Mensch hat aber aus Fehlern der Vergangenheit gelernt und nun Maßnahmen zum Schutz des eleganten Waldbewohners ergriffen. Um die Rückkehr nach Bayern zu erleichtern, wurden seit Mitte der 1980er Jahre immer wieder Wildkatzen ausgewildert. Bis 2008 wurden allein im Bayerischen Staatswald gemeinsam mit dem Bund Naturschutz e. V. insgesamt 580 Tiere in den Wäldern Nord- und Ostbayerns in die Freiheit entlassen.
Die großflächigen und vielfach geschlossenen Wälder des Bayerischen Staatswaldes bieten vielerorts geeignete Voraussetzungen für die Wildkatze. So findet der kleine Beutegreifer zum Beispiel im Spessart ein optimales Habitat vor: Viele Mäuse, wenig Störung und ausreichend Platz für ein eigenes Revier, das auch schon mal 1000 Hektar umfassen kann.
Doch die Bayerischen Staatsforsten wollen noch mehr für die Wildkatze tun. Deshalb beteiligt sich das Unternehmen zusammen mit weiteren Institutionen und Verbänden an einer Strategie zur Förderung der Wildkatze in Bayern, die das Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten derzeit erarbeitet. Gemeinsam mit Jägern und Naturschützern werden die Bayerischen Staatsforsten ein systematisches Monitoring durchführen, um aufzudecken, wo die scheuen Katzen hausen. Darüber ist verhältnismäßig wenig bekannt, denn der perfekt getarnte Waldbewohner vermeidet allzu engen Kontakt mit menschlichen Waldbesuchern. Erster Schritt ist also die Teilnahme an einer bayernweiten Umfrage zum Vorkommen von Wildkatzen.
Die naturnahe Waldbewirtschaftung, die die Bayerischen Staatsforsten praktizieren, tut der Wildkatze gut, denn diese Wirtschaftsform setzt auf natürliche Verjüngung und fördert Strukturreichtum im Wald. Rücksichtnahme auf bekannte Vorkommen während der Aufzuchtzeit ist selbstverständlich. In Wildkatzenlebensräumen werden regionale Naturschutzkonzepte zukünftig insbesondere auf die Bedürfnisse der wilden Samtpfote zugeschnitten. Beispielsweise bilden bodennahe Kleinstrukturen, Höhlenbäume und Totholz hervorragende Kinderstuben für den Katzennachwuchs.
Auch im jagdlichen Bereich genießt die Wildkatze einen besonderen Status: In Gebieten, in denen die Wildkatze vorkommen kann, sind wildfarbene Katzen von Jagdschutzmaßnahmen ausgenommen. Soweit die Fallenjagd überhaupt ausgeübt wird, werden ausschließlich lebendfangende Fallen eingesetzt.