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Süßer die Stämme nie klingen!

Konzertflügel werden aus Hölzern mit ganz speziellen Klangeigenschaften gebaut, sogenanntem Klangholz

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Klangholz: Ein ganz besonderes Holz

Der kleine Antonio konnte die Bäume hören. Jedenfalls sagten das die Leute. Und irgendetwas musste da ja dran sein, an dem Gerede von seinem feinen Gehör. Viele Jahre später, als erwachsener Mann, durchstreifte Antonio immer noch die Wälder, nachts, am liebsten bei Vollmond, um sich geeignete Bäume zu suchen. Wenn er einen sah, der ihm passend erschien, schälte er etwas Rinde ab, klopfte mit einem kleinen Hammer vorsichtig an den Stamm – und lauschte.

Schälen, klopfen, lauschen. So ging das manchmal die halbe Nacht, bis er den geeigneten Stamm gefunden hatte. Später wurde der Baum gefällt, das Holz geschnitten und getrocknet, und Antonio Stradivari baute daraus die besten Geigen der Welt. Er war ein wahrer Meister seiner Zunft, mit einem hervorragenden Gehör ausgestattet, und er wusste genau, welches Holz er wollte: Klangholz.

Das sind Stämme mit einer sehr gleichmäßigen Holzstruktur, von Bäumen, die sehr, sehr langsam gewachsen sind und wenig Äste haben. Die Jahresringe können eigentlich gar nicht nah genug zusammen sein, das Vorbild - auch im Hinblick auf die Gleichmäßigkeit der Jahrringe - ist eine Schallplatte. Voraussetzung für einen solch optimalen Jahresringaufbau ist eine kontinuierliche Wasserversorgung. Die besten Bäume für Klangholz wachsen deshalb in den niederschlagsreichen Bergen. Ab einer Höhe von tausend Metern – zum Beispiel Bayerischen Wald oder in den Alpen – sind die Bedingungen geradezu ideal: Strenge, lange Winter und relativ kurze Sommer lassen die Bäume nur langsam wachsen. Verstärkt wird das noch durch einen Standort an einen Nordhang. Insgesamt nur ein bis zwei Prozent der vorhandenen Hölzer erfüllen die Kriterien für bestes Klangholz.

Klangholz muss extrem feinfaserig sein und eine hohe Festigkeit aufweisen. Und es soll den Klang möglichst schnell befördern: Je dichter das Holz, desto leichter und damit schneller wird der Klang befördert. Was Antonio Stradivari vor dreihundert Jahren mit dem bloßen Ohr hörte, erledigen heutzutage Messgeräte: sie messen die exakte Geschwindigkeit, mit der der Schall durch das Holz dringt.

Die Dichte des Holzes hängt aber nicht nur vom Standort ab, sondern natürlich auch von der Baumart. Eine häufig verwendete Baumart für den Bau des Klangkörpers bei Klavieren und Geigen ist die Fichte. Aber auch Ahorn, Esche, Palisander und sogar Buchsbaum und natürlich viele andere Baumarten werden – je nach Instrument, Einsatz und gewünschter Klangfarbe – eingesetzt.

Ist der geeignete Baum gefunden, wartet man auf den geeigneten Zeitpunkt zum Fällen. Ideal sind die Tage um Neumond. Das hängt mit dem Wasserhaushalt des Baumes zusammen, der – ähnlich wie bei den Gezeiten – durch den Mond beeinflusst wird. Nach dem Fällen wird der Baum einige Jahre gelagert. Das Trocknen an der Luft stellt sicher, dass alle Spannungen im Holz abgebaut sind.

 „Klanghölzer sind die Filetstücke unter den Bäumen“, erzählt Dr. Daniel Müller von den Bayerischen Staatsforsten. Sein Forstbetrieb in Berchtesgaden hat viele Waldflächen in Hochlagen auf der Alpennordseite. Oft suchen sich die Instrumentenbauer geeignete Bäume direkt im Wald aus. Hier wachsen – in kalten und unwirtlichen Klima – die Bäume, deren Holz später in den großen Konzertsälen den Sonaten und Etüden ihren ganz besonderen Klang verleihen. Die Bringung des Holzes -  also das Schlagen der Bäume und der Abtransport – ist jedoch in den Bergen sehr aufwändig. Entsprechend begehrt sind die Bäume bei den Instrumentenbauern. Im vergangenen Winter konnte Müller insgesamt sechzig Festmeter Fichtenholz, das sind etwa zwei LKW-Ladungen, an ein niederbayerisches Sägewerk liefern. Ziel dieser Hölzer ist die Wilhelm Schimmel Pianofabrik in Braunschweig,  einer der renommiertesten Klavier- und Flügelhersteller hierzulande. Rund fünfzig Klaviere oder Flügel werden daraus gebaut und in alle Welt verkauft. Gebaut nach allen Regeln der Handwerkskunst, aus den besten Hölzern. So wie die Geigen der berühmten Geigenbauer in Mittenwald. Ihr Handwerk ist von so manchem Geheimnis umrangt: Der genaue Standort geeigneter Bäume wird oft ebenso streng gehütet wie die kleinen Besonderheiten bei der Herstellung und die genaue Rezeptur des Lacks.

Bis heute ist, allen wissenschaftlichen Untersuchen zum Trotz, nicht geklärt, warum die Geigen des Antonio Stradivari einen solch herausragenden Klang haben. Vielleicht konnte Antonio Stradivari durch sein Klopfen tatsächlich die wirklich besonderen Bäume heraushören. Vielleicht aber hört man bei seinen Geigen ganz einfach den Unterschied zwischen einem sehr gutem Geigenbauer und einem Genie.