Totes Holz ist mehr als nur lose Baumteile - viele Arten für Überleben auf Totholz angewiesen
07.November 2024, Steinbach - Wer durch den Sulzschneider Wald streift, muss regelmäßig darauf achten, nicht auf die Nase zu fallen: Es sieht unaufgeräumt aus im Wald. Überall liegen Kronen- und Stammteile abgestorbener Bäume. Hier und da stehen sogar abgebrochene Stämme. Warum ist das eigentlich so in einem Wald, der durchgehend bewirtschaftet wird? Nachgefragt bei Förster Johannes Nachbar und Fortbetriebsleiter Jann Oetting:
Johannes Nachbar ist Revierleiter bei den Bayerischen Staatsforsten und pflegt den Sulzschneider Wald, der zum Forstbetrieb Sonthofen gehört.
Herr Nachbar, warum werden die umherliegenden Baumteile eigentlich nicht besser genutzt? Sind das in Zeiten erneuerbarer Energien nicht wichtige Rohstoffe?
Nachbar: Holz als Energieträger kann in der Tat einen wesentlichen Beitrag zur Energiewende leisten. Die „losen“ Teile, die Sie beschreiben – auch Totholz genannt – erfüllen jedoch viele wertvolle Funktionen im Ökosystem Wald. Abgestorbenes und vermoderndes Holz ist sehr wichtig für den Waldnaturschutz. Über 20% der im Wald lebenden Vögel und Säugetiere und zahlreiche Pilze und Flechten sind für ihr Überleben darauf angewiesen. Bei uns in Mitteleuropa leben rund 1300 Käfer- und 1500 Großpilzarten am und im Totholz, darunter auch viele sehr seltene Arten. Von ihnen werden die abgestorbenen Bäume als Brutraum, Nahrungsquelle oder einfach als Versteck genutzt. Deshalb lassen wir Förster dieses Holz im Wald liegen.
Besteht denn kein Risiko, dass sich Schädlinge in dem zurückgelassenen Holz vermehren und ausbreiten?
Oetting: Diese Gefahr droht in unserer Region aktuell nur, wenn frisches Fichtenholz im Wald zurückgelassen wird. Die bei uns verbreiteten Borkenkäferarten Buchdrucker und Kupferstecher könnten dieses tatsächlich als Grundlage nutzen, um sich rasch zu vermehren, was wir natürlich vermeiden möchten. Deshalb verwendet der Forstbetrieb Sonthofen die Baumart Fichte nicht, um den Wald gezielt mit Totholz anzureichern. Aber wir nutzen dafür andere natürliche Gegebenheiten und Baumarten, zum Beispiel starkes Totholz von Buchen, Tannen, Birken, Bergahorn oder Esche. Derzeit liegt der durchschnittliche Totholzvorrat aller Flächen des Forstbetrieb Sonthofen bei circa 33 Kubikmeter pro Hektar. Damit liegen wir bereits über dem bundesweiten Durchschnitt. Unser Ziel ist es aber, in Wäldern, die mindestens 140 Jahre alt sind, einen Totholzvorrat von 40 Kubikmetern zu erreichen. In jüngeren Wäldern wollen wir immerhin 20 Kubikmeter schaffen.
Dann ergreifen Sie also sogar aktiv Maßnahmen, um die Totholzmenge im Wald zu erhöhen?
Oetting: Absolut. Das sogenannte Totholzmanagement ist ein wesentlicher Teil des Naturschutzkonzeptes der Bayerischen Staatsforsten. Alte, abgestorbene oder kranke Bäume, sowie einzelne, die vom Wind gebrochen oder umgeworfen wurden, belassen wir bewusst im Wald, bis sie natürlich zerfallen. Und nach der Holzernte, wo beim Fällen ja immer auch starke Kronenäste oder abgebrochene Stammteile anfallen, räumen wir nicht auf, sondern lassen dieses Holz konsequent im Wald zurück. So schaffen und erhalten die Förster im Staatswald ein Ökosystem für seltene, auf Totholz spezialisierte Arten – mit großem Erfolg für den Artenschutz im Wald. Untersuchungen zeigen: Egal mit welcher anderen Landschaftsform wir den Wald vergleichen – ob Meer und Watt, Flüsse, Kulturflächen oder urbane Bereiche – der Wald ist die einzige Ökosystemart in Deutschland, wo seit den 70er Jahren die Artenzahl nicht abgenommen hat, sondern gleichgeblieben ist. Und bei uns im Staatswald hat sie sogar zugenommen. Nützen und Schützen auf der gleichen Fläche – das ist moderne Nachhaltigkeit im Wald!
Stört Totholz im Wald nicht bei der Bewirtschaftung?
Nachbar: Es kann natürlich schon mal unangenehm sein, wenn man immer über Totholz steigen muss. Auch mein Hund Wenz beschwert sich manchmal, wenn es ihm zu viel wird. Beim Pflanzen junger Bäume kann uns Totholz daran hindern, schneller voranzukommen. Aber langfristig hilft es uns bei der Wiederbewaldung. Stehen gebliebene, hohe Baumstümpfe schützen beispielsweise vor Wind und Sonne. Und das sich zersetzende Holz wirkt wie ein Schwamm, der Wasser speichert, was besonders in Dürreperioden wertvoll ist. Oft sieht man auch gerade auf verrottendem Holz viele junge Bäumchen, die sich über die vielen Nährstoffe und guten Bedingungen freuen. Wir Förster nennen das „Rannenverjüngung“ und die kann ich mir z.B. auf Flächen, die stark zur Verunkrautung neigen, zu Nutze machen kann.