Totholz: Mehr als nur totes Holz
Betzigau, 02.11.2018 – Kurz vor dem Winter wollen viele Menschen ihren Brennholzvorrat aufstocken und vom Förster einzelne umgefallene oder abgestorbene Bäume kaufen. Das ist gut, weil der nachwachsende Rohstoff Holz in diesem Fall Erdöl oder Gas als Wärmequelle ersetzt. Aber totes und zerfallendes Holz ist auch eine wichtige Lebensgrundlage für unzählige Tiere, Pflanzen und Pilze. Im Zuge der naturnahen und nachhaltigen Bewirtschaftung ihrer Wälder setzen die Bayerischen Staatsforsten deshalb auf ein konsequentes Totholzmanagement.
„Abgestorbenes und vermoderndes Holz spielt beim Waldnaturschutz eine zentrale Rolle“, erläutert Sebastian Neubauer, Revierleiter im Forstrevier Kempter Wald. Über 20% der im Wald lebenden Vögel und Säugetiere sowie eine Vielzahl an Pilzen und Flechten sind auf Totholz angewiesen. In Mitteleuropa leben rund 1300 Käfer- und 1500 Großpilzarten am und im Totholz, auch zahlreiche sehr seltene Arten. Die Insekten und Pilze, Vögel und Säugetiere sind direkt oder indirekt von den Nischen abhängig, die abgestorbene Bäume bieten. Bei den Vögeln sind besonders die Spechte, einige Meisenarten und die Baumläufer auf Totholz als Nahrungsbiotop und Brutraum angewiesen. Alte Baumhöhlen, sowie lose Rindenteile an toten Bäumen bieten auch unterschiedlichste Versteckmöglichkeiten für Fledermäuse und Säugetiere, wie zum Beispiel dem Siebenschläfer.
„Um der Bedeutung von Totholz in den Wäldern gerecht zu werden, setzen wir bei den Bayerischen Staatsforsten auf ein gezieltes Anreichern der Waldbestände mit stehendem und liegendem Totholz. Unser Ziel ist es, in allen alten und naturnahen Wäldern ab einem Alter von 140 Jahren 40 Kubikmeter Totholz pro Hektar anzureichern. In den jüngeren Wäldern mit einer natürlichen Baumartenzusammensetzung werden ab einem Alter von 100 Jahren immerhin 20 Kubikmeter pro Hektar Totholz angestrebt. Im Forstbetrieb Sonthofen haben wir im Durchschnitt über alle Flächen bereits 25,6 Kubikmeter pro Hektar. Das ist verglichen mit dem bayerischen Durchschnitt von rund 14 Kubikmeter pro Hektar viel“, erläutert Sonthofens Staatsforsten-Chef Jann Oetting. Gleichzeitig versuchen Oettings Mitarbeiter, wo immer möglich auch Brennholz zum Selbermachen zu verkaufen. „Denn heimisches Brennholz zum Heizen ist eine sehr ökologische Energiequelle: Es wächst nach, kommt aus der Nähe und wer einmal Brennholz gemacht hat, geht verantwortlich mit Energie um – er weiß ja, wie anstrengend die Bereitstellung ist“, freut sich Jann Oetting.
„In der Praxis gehen wir in Sachen Totholzmanagement zwei Wege“, erklärt Revierleiter Neubauer. „Zum einen versorgen wir die Bevölkerung mit Brennholz gezielt dort, wo es leicht zu holen oder schon genug Totholz da ist. Zum anderen nutzen wir natürliche Gegebenheiten, um die Wälder mit starkem Totholz von Buche, Tanne, Birke, Bergahorn oder Esche anzureichern: Wir belassen konsequent alte, abgestorbene und kranke Bäume, sowie einzelne, die vom Wind gebrochen oder umgeworfen wurden, bis zum natürlichen Zerfall im Wald. Außerdem belassen wir bei jeder Holzernte Teile der gefällten Bäume, wie beispielsweise starke Kronenäste oder abgebrochene Stammteile im Wald.“ Auf diese Weise schaffen und erhalten die Förster im Staatswald ein flächendeckendes Netz aus Trittsteinen für seltene, auf Totholz spezialisierte Arten. Mit großem Erfolg für die Artenvielfalt im Wald: „Untersuchungen belegen: Egal mit welcher Landschaftsform wir in Deutschland vergleichen – ob Meer und Watt, Flüsse, Landwirtschaft oder städtische Bereiche. Der Wald ist die einzige Landschaftsform, wo seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts die Artenzahl nicht abgenommen, sondern gleichgeblieben und bei uns im Staatswald sogar zugenommen hat. Nützen und Schützen auf der gleichen Fläche – das ist moderne Nachhaltigkeit im Wald“, freuen sich Förster Neubauer und Forstbetriebsleiter Oetting.