Vom Werden und der Wirksamkeit erlebnispädagogischer Projekte
Der Kinder- und Jugendhilfeverbund der AWO initiiert seit vielen Jahren erlebnispädagogische Projekte im In- und Ausland für kleinere Gruppen, Jugendliche mit ihren Eltern oder gar einzelne Jugendliche. Schon bei der Planung stellen wir uns eine Vielzahl von Fragen, was ist das Ziel, welches wir mit den Jugendlichen erreichen wollen, wo können wir am effizientesten arbeiten, welche erlebnispädagogische Aktivität passt am besten, welche Methoden und Wirkmechanismen sind vorstellbar.
Allerdings ist die Planung nur die eine Seite, häufig schieben wir etwas an, lassen uns dann aber vom Prozess leiten. Vieles wird so erst im Laufe der Tage sichtbar, zeigt Überraschungen auf und gibt der Arbeit immer wieder eine neue Tiefe und Richtung. Allerdings können wir die Grundlagen legen, die aus der Erfahrung heraus eine erfolgversprechende Arbeit verheißen. Dazu gehört maßgeblich die Wahl der Örtlichkeit, der Rückzugspunkt am Abend.
Außerordentlich positive Erfahrungen haben wir mit Orten gemacht, die eine Rückbesinnung auf sich selbst, ohne die permanente Ablenkung von außen, zulassen. Ideal ist dabei die Nutzung abgelegener und einsamer Berghütten, die zwar widrigen Witterungsbedingungen trotzen, ansonsten aber nur eine einfachste Ausstattung wie vor hundert Jahren besitzen. Hier wird der Bruch mit dem Alltag, mit eingefahrenen, oft unerwünschten Situationen und Verhaltensweisen am deutlichsten. Zudem wird aber auch gleichzeitig die Möglichkeit eröffnet, sich mit eigenen Fragestellungen aus der Gegenwart oder Vergangenheit zu befassen.
Voraussetzung ist hier allerdings, wie auch bei anderen Projekten, dass bei den Jugendlichen ein Mindestmaß an Bereitschaft vorhanden ist, sich auf Neues einzulassen.
In den Bayerischen Staatsforsten mit den Forstbetrieben St. Martin und Schliersee haben wir bei der Hüttennutzung hier stets verlässliche Ansprechpartner gefunden, die auch auf unsere individuellen Wünsche eingehen. Die gemeinsamen Projekte im Forstbetrieb St. Martin werden auch von den Jugendlichen immer wieder als bereichernd und entwicklungsfördernd empfunden.
Woran merken wir aber, ob etwas gewirkt hat? Häufig geben Projekte nur kurzzeitige Anstöße oder sind bei deren Aufeinanderfolge der Auslöser für etwas Größeres. Die nachhaltige Wirkung wird in der Regel aber erst am erfolgreichen Abschluss einer Schul- oder Berufsausbildung, der Integration in den Arbeitsmarkt, der Bewältigung der persönlichen Lebenssituation bis hin zum Wohnen in eigenem Wohnraum sichtbar und messbar.
Erlebnispädagogische Aktivitäten - der Rückblick einer Jugendlichen
Die erlebnispädagogischen Fahrten, kurz EP-Fahrten, werden in vielen Einrichtungen der AWO angeboten. So auch im „Betreuten Einzelwohnen“ in Potsdam, in dem ich lebte. Die Jugendlichen haben die Pflicht an diesen Fahrten teilzunehmen, wenn sie in der körperlichen- und geistigen Verfassung sind, beziehungsweise die Freistellung von der Schule oder der Arbeitsstätte bekommen.
Auf den EP-Fahrten werden oft sportliche Aktivitäten, wie Klettern, Wandern oder Skilauf mit pädagogischen Maßnahmen verbunden. Die Fahrten dauern meist ein Wochenende, können jedoch auch mal über eine ganze Woche gehen. Der Zeitraum wird je nach dem Zielort bestimmt.
Unter den meisten Jugendlichen des Potsdamer BEW waren die EP-Fahrten oftmals verhasst, jedenfalls anfangs. Auch ich war nicht sonderlich begeistert, als ich die Packliste für meine erste EP-Fahrt erhielt.
Natürlich denken sich die Betreuer etwas bei diesen Fahrten, aber natürlich war mir das total egal. Ich hatte keine Lust auf Natur, eine einsame Hütte ohne Strom und einem Plumpsklo und vor allem möchte man nicht in irgendwelchen persönlichen „Schubladen“ rumwühlen lassen, die man in der Vergangenheit gründlich verriegelt hat.
Also stellt man sich folgende Fragen:
- Was soll ich da?
- Wie komme ich aus der Sache schnell wieder raus?
- Warum gerade ich?
Aber die wohl am meisten gestellte Frage ist wohl:
- Macht das alles überhaupt einen Sinn?
Im ersten Moment nicht - ... man redet über die eigene Person und wie es einem geht, man reflektiert die Tageserlebnisse und - zack - stellen die Betreuer einen Zusammenhang zur eigenen Vergangenheit her und man weiß gar nicht, wie man reagieren soll.
Bei einem eingespielten „Betreuer-Paar“ kommen die Fragen wie bei einem Tischtennisspiel: Ping - Pong - Ping.
Die Reflexionsrunden finden immer am Abend eines Tages statt. Viele Jugendliche sind da geschafft von den sportlichen Aktivitäten, wollen nur noch ins Bett und wenn man sich dann noch mit seinem Selbst beschäftigen soll, ist man schnell überfordert. So empfand ich die Reflexionsrunden meiner ersten EP-Fahrt - eine pure Überforderung.
Doch im Nachhinein denkt man oft über die Worte der Betreuer während der Fahrt nach, aber auch nach der Fahrt, wenn man bereits wieder daheim ist. Man versucht selbst noch einmal zu reflektieren und selbst die Zusammenhänge zwischen seinem Verhalten und dem Geschehenen herzustellen. Hat man sich das erste Mal überwunden, etwas von sich Preis zu geben, fällt es einem von Fahrt zu Fahrt immer leichter mehr von seinen „Schubladen“ zu öffnen. Man fängt an, den Betreuern zu vertrauern und ihre Worte ernst zu nehmen.
Die Frage „machen EP-Fahrten einen Sinn?“, kann ich nur mit einem eindeutigen „Ja“ beantworten.
Ich habe viel von den Fahrten mitnehmen können, sowohl geistig und als körperlich. Auf den EP-Fahrten habe ich mich oft mit meinem Verhalten auseinandersetzen müssen, dass durch meine Vergangenheit geprägt wurde.
Ich habe meine körperlichen Grenzen ausgetestet, als ich in Österreich klettern war und es nicht so gelang und am nächsten Tag trotzdem einen Berg bestiegen habe.
Ich musste aus mir „herauskommen“ als ich in Rom und Venedig mit einem Stadtplan in der Hand eine Gruppe geführt und Englisch gesprochen habe. Ich musste lernen, über meinen eigenen Schatten zu springen und um Hilfe bitten, als ich in den Alpen beim Skilaufen hinfiel.
Durch diese EP-Fahrten konnte ich viel lernen, vor allem über mich selbst und konnte mich weiterentwickeln.
Ich denke, ohne diese Fahrten hätte ich mich nicht zu der Person entwickeln können, die ich heute bin.
Jennifer
Diese Rückmeldung einer Jugendlichen steht für eine gelungene Verselbständigung. Wir freuen uns, dass wir Jenny auf ihrem Weg ein Stück weit begleiten konnten.
S. Schwager