"Wir befinden uns im Holzzeitalter"
Interview aus unserem aktuellen Magazin "Waldblick"
Die Vorstände Martin Neumeyer und Reinhardt Neft wollen die bayerischen Staatswälder nutzen und fit für die Zukunft machen. Beim Interview im Hienheimer Forst bei Kelheim blicken sie außerdem auch zurück auf zehn Jahre Bayerische Staatsforsten. Und auf ihre Kindheit im Wald.
Herr Neft, wie alt ist die Elsbeere, vor der wir hier gerade stehen?
Neft: Das ist eine ganz besonders schöne Elsbeere. 150 oder 160 Jahre hat sie ganz bestimmt. Es ist wichtig, sich immer wieder vor Augen zu führen, wie alt der Wald ist, dass er vor uns da war und nach uns da sein wird. Wir Menschen begleiten den Wald immer nur für ein kurzes Stück seiner Geschichte. Wenn wir uns das klar machen, handeln wir bewusster und verantwortlicher.
Die Bayerischen Staatsforsten feiern nun ihr zehnjähriges Jubiläum. Wenn man in den langen Rhythmen eines Forstwirts denkt, ist das eine sehr kurze Zeitspanne.
Neft: Das mag sein. Die Zeit verging ja auch sehr schnell. Aber wir haben in den vergangenen zehn Jahren auch viel auf den Weg gebracht.
Zum Beispiel?
Neft: Ich glaube, es gab drei große Herausforderungen. Wir mussten zunächst einmal einige wirtschaftliche Probleme angehen. Im Jahr 2005 zum Beispiel war der Holzpreis deutlich niedriger als heute. Wegen des heißen, trockenen Jahrhundertsommers 2003 war viel Schadholz auf dem Markt, der Staatswald konnte in dieser Zeit nicht profitabel bewirtschaftet werden. Das sieht heute ganz anders aus. Die Bayerischen Staatsforsten stehen wirtschaftlich sehr gut da.
Neumeyer: Die Idee hinter der Gründung der Bayerischen Staatsforsten war, dass sich der Staat auf seine Kernaufgaben konzentrieren soll und dass ein wirtschaftlich ausgerichtetes Unternehmen wie die Bayerischen Staatsforsten am Markt effizienter und dynamischer handelt. Genau so ist es gekommen. Die Bayerischen Staatsforsten haben die Vorreiterrolle in der deutschen Forstwirtschaft. Das ist kein Eigenlob. Ich darf das noch sagen, weil ich ja erst seit April 2015 dabei bin.
Was waren denn die anderen beiden Herausforderungen?
Neft: Natürlich waren die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zunächst einmal verunsichert, als die Bayerischen Staatsforsten gegründet wurden. Es kam also darauf an, sie auf unserem Weg mitzunehmen. Und natürlich war es auch wichtig, eine gewisse Skepsis der Öffentlichkeit zu überwinden. Auch das ist uns, denke ich, gut gelungen.
Über beide Themen sollten wir ausführlicher sprechen. Beginnen wir mit der Öffentlichkeit. Gegen die Forstreform wurde 2004 sogar ein Volksbegehren gestartet, das aber knapp scheiterte. Was war der Grund für den Unwillen?
Neumeyer: Die Gesellschaft hat eine sehr emotionale Bindung an den Wald und sieht diesen als wichtigen Erholungsraum und als letzte „echte Natur“ an. Aus diesem Grund wird forstliches Handeln zunehmend hinterfragt. Bei der Gründung der Bayerischen Staatsforsten hatten einige Menschen wohl die Sorge, dass in Zukunft der Wald nur noch unter ökonomischen Gesichtspunkten betrachtet werden würde, nicht unter ökologischen.
Haben Sie Verständnis für diese Sorgen?
Neumeyer: Ich denke, dass die Bayerischen Staatsforsten in den vergangenen Jahren gezeigt haben, dass sich Ökonomie und Ökologie nicht ausschließen. Aber natürlich verstehe ich etwaige Ängste. Auch ich habe doch eine enge Bindung an den Wald. Ich bin im Berchtesgadener Land aufgewachsen. Und mit sechs oder sieben Jahren, als man auch mal länger von zu Hause wegdurfte, radelten meine Freunde und ich immer in den Wald, in die Saalachau. Es gab damals gar keine Spielplätze. Der Wald war unser Spielplatz.
Neft: Da haben Herr Neumeyer und ich viel gemeinsam. Viele meiner schönsten Erinnerungen spielen im fränkischen Wald. Wir haben Räuber und Gendarm gespielt und Baumhäuser gebaut. In meiner Jugend haben wir dann auch Feste im Wald gefeiert, etwa an Grillplätzen.
Neumeyer: Es ist großartig, dass der Wald den Menschen in Deutschland und ganz besonders in Bayern so viel bedeutet. Wir stehen also in einer besonderen Verantwortung und müssen unser forstliches Handeln noch besser und noch verständlicher erklären.
"DA HABEN HERR NEUMEYER UND ICH VIEL GEMEINSAM. VIELE MEINER SCHÖNSTEN ERINERUNGEN SPIELEN IM FRÄNKISCHEN WALD."
REINHARDT NEFT
Wie kann das gelingen?
Neumeyer: Sehen Sie, gerade sind ein paar Spaziergänger an uns vorbeigegangen. Im Grunde müssen wir Transparenz gar nicht erst herstellen, wir arbeiten ja schon öffentlich, der Bürger kann uns über die Schulter schauen. Es ist eine wichtige Aufgabe, unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter immer wieder aufs Neue zu befähigen, als Botschafter des Waldes den Dialog mit den Waldbesuchern aufzunehmen. Es kommt dabei auch darauf an, die Försterbrille abzunehmen und den Wald mit den Augen des Spaziergängers zu sehen.
Was sieht man dann? Neft: Viele Menschen machen immer die gleiche Wanderung durch den Wald. Wird dann ein Baum gefällt, an dem sie jeden Tag vorbeigegangen sind, sind sie verstimmt. Es kommt also zunächst einmal darauf an, dass wir überhaupt verstehen, was den Spaziergänger bedrückt. In einem nächsten Schritt kann man dann erklären, dass der Wald ja nichts Starres, sondern etwas Dynamisches ist, dass Bäume nachwachsen, dass wir vielleicht an anderer Stelle bewusst eine Baumgruppe haben stehen lassen. Wir können zeigen, warum wir gerade diesen Baum entnommen haben und dass es sehr wohl möglich ist, einen Wald schonend zu bewirtschaften.
"ICH BIN IM BERCHTESGADENER LAND AUFGEWACHSEN. ALS KIND HABE ICH VIEL IM WALD GESPIELT."
MARTIN NEUMEYER
Viele Menschen fänden es am besten, wenn man große Naturschutzgebiete einrichten würde.
Neumeyer: Selbstverständlich klingen Naturschutzgebiete erst einmal attraktiv. Umso wichtiger ist es, zu erklären, dass solche segregativen Konzepte, also die strikte Trennung von Nutzen und Schützen, für die Verhältnisse bei uns in Bayern nicht geeignet sind. Wir haben hier keine riesigen, unberührten Flächen wie etwa in Nordamerika. Wir zum Beispiel stehen hier mitten in einem wunderschönen Wald, aber wir können auch eine Schafherde hören, die Bundesstraße ist nur wenige hundert Meter entfernt, dahinter kommt schon die Stadt Kelheim. Deutschland ist ein zersiedeltes Land, wir haben keine Urwälder, sondern eine Kulturlandschaft, die der Mensch seit Jahrhunderten beeinflusst. Deswegen ist es am besten, den Wald auf der ganzen Fläche gleichzeitig zu nutzen und zu schützen. Es gilt den Ansprüchen der Gesellschaft, dem Bedarf nach der nachwachsenden Ressource Holz und dem Tier- und Artenschutz gleichermaßen und auf gleicher Fläche gerecht zu werden.
Neft: Wir haben intelligente Nutzungskonzepte entwickelt, die es uns ermöglichen, den wertvollen Rohstoff Holz zu ernten und gleichzeitig die Artenvielfalt im Wald zu erhalten und wenn nötig zu verbessern. Wir können dies wissenschaftlich herleiten. Man kann sich aber auch mit bloßem Auge überzeugen, dass unser integratives Konzept funktioniert. Wir stehen hier gerade auf dem ehemaligen äußeren Keltenwall, nicht weit weg von Befreiungshalle und Kloster Weltenburg. Der Wanderweg hier ist ein Kulturdenkmal, das von uns gepflegt wird. Wenn wir uns umsehen, sehen wir zudem alte Buchen, aber auch viele junge Bäume. Wir sehen Totholz, das wir bewusst im Wald belassen, da es wichtiger Lebensraum vor allem für Insekten und Pilze ist. Wir lassen Biotopbäume stehen, weil dort etwa die Hohltaube ein Zuhause findet. Aber wenn Sie genau hinsehen, sehen Sie auch eine sogenannte Rückegasse, also eine Erschließungslinie, die wir dazu nutzen, um gefällte Stämme aus dem Wald zu bringen. Ein klarer Beweis, dass diese Parallelität funktioniert.
Die Bayerischen Staatsforsten setzen zum Fällen zunehmend große Harvester ein. Das kommt vielen Menschen wenig schonend vor.
Neumeyer: Dies ist auf den ersten Blick nachvollziehbar. Aber zum Einen ist die Arbeit mit Harvestern für die Menschen, die im Wald arbeiten, viel sicherer, weil sie zum Beispiel nicht von herabfallenden Ästen getroffen werden können, sondern geschützt in der Kabine des Fahrzeugs sitzen. Der Harvester ist zum Anderen aber auch für die Natur sehr schonend. Der Harvesterführer kann mit dem 15 Meter langen Greifarm einen Baum packen, fällen und dann – über die Naturverjüngung hinweg – aus dem Bestand heben. Beim Fällen von Hand entstehen mitunter größere Schäden, weil der Baum aus großer Höhe ungebremst auf den Boden kracht. Wir haben hier im Forstbetrieb Kelheim auf Informationsveranstaltungen erklärt, wie ein Harvester funktioniert und konnten so den Menschen viele Sorgen nehmen. Wir müssen übrigens für unsere Kommunikationsarbeit auch die neuen Medien noch mehr nutzen. Wir haben beispielsweise ein Video produziert, in dem wir erklären, wie ein Baum gefällt wird. Das Video wurde schon über 60 000 Mal angesehen.
Neft: Übrigens verwenden wir moderne Technologien und IT-Anwendungen auch in unserer alltäglichen Arbeit. Um nur ein Beispiel zu geben: Holz, das wir am Wegesrand lagern, wird per GPS markiert. Per Algorithmus wird ein möglichst kurzer Weg zwischen Wald und Kunde ermittelt. So haben wir im vergangenen Jahr rund 2 Millionen Kilometer Strecke gespart. Und gleichzeitig unseren Kohlendioxidausstoß verringert.
Neumeyer: Wir nutzen moderne Technik überall dort, wo sie wirklich sinnvoll ist. Aber wir wissen, dass Technik kein Selbstzweck ist, sondern immer dienende Funktion hat. Und wir wissen natürlich auch, dass das Rückgrat unseres Unternehmens von unseren 2 700 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gebildet wird.
"WIR NUTZEN MODERNE TECHNIK ÜBERALL DORT, WO SIE WIRKLICH SINNVOLL IST. ABER WIR WISSEN, DASS TECHNIK KEIN SELBSTZWECK IST."
MARTIN NEUMEYER
Ohnehin wollten wir ja noch darüber sprechen, wie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter den Weg der Bayerischen Staatsforsten erlebt haben.
Neft: Wir müssen unseren Beschäftigten ein riesiges Kompliment machen. Die Gründung der Bayerischen Staatsforsten hat für viele Menschen eine große Umstellung bedeutet, andere Strukturen, teilweise ein anderer Arbeitsplatz. Trotzdem haben alle angepackt. Ohne unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hätte unsere zehnjährige Erfolgsgeschichte überhaupt nicht geschrieben werden können. Ich denke, die Sorgen der Anfangszeit sind verflogen. Dass wir mittlerweile ein attraktiver Arbeitgeber sind, dafür gibt es viele Hinweise: Wir haben unter anderem extrem wenig Anträge auf Frühverrentung, wir liegen bei den Krankentagen unter dem Durchschnitt und für extern ausgeschriebene Stellen haben wir meist 50, 60 Bewerbungen.
Neumeyer: Und genau so müssen wir auch bleiben, das ist ein wichtiges Zukunftsthema.
Wie gelingt das?
Neumeyer: Unser Unternehmen bietet Arbeitsplätze mit hoher Eigenverantwortung. Wir wollen die Vereinbarkeit von Beruf und Familie weiter verbessern. Und wir wollen noch mehr Entwicklungs- und Karrieremöglichkeiten bieten. Wir haben flache Hierarchien und versuchen, effizient im Team zu arbeiten und zu lernen. Und natürlich bieten wir einen unvergleichlich schönen Arbeitsplatz: den bayerischen Wald.
Kommen Sie selbst denn überhaupt oft genug raus in die Natur?
Neft: Ich wandere eigentlich jedes Wochenende in den bayerischen Wäldern. Es gibt nichts, was mich entspannter und zufriedener macht.
Neumeyer: Das gilt auch für mich. Ich habe mir vorgenommen, im nächsten Jahr alle 41 bayerischen Forstbetriebe zu besuchen und freue mich nicht nur auf die Begegnungen mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, sondern auch auf die Begegnung mit der Natur.
"OHNE UNSERE MITARBEITERINNEN UND MITARBEITER HÄTTE DIE ZEHNJÄHRIGE ERFOLGSGESCHICHTE DER BAYERISCHEN STAATSFORSTEN NICHT GESCHRIEBEN WERDEN KÖNNEN."
REINHARDT NEFT
Was wäre ein weiteres wichtiges Zukunftsthema?
Neumeyer: Natürlich ist der Klimawandel nach wie vor auf unserer Agenda. Wir brauchen einen Wald, der mit geänderten klimatischen Bedingungen – Hitze, Trockenheit – gut zurecht kommt. Manche Umweltschutzverbände geben vor, genau zu wissen, welche Bäume am zukunftsfähigsten sind, etwa die Buche. Wir empfehlen da mehr Demut. Niemand weiß genau, was sich ändern wird. Daher setzen die Bayerischen Staatsforsten auf Diversifikation und auf unsere lange Erfahrung in Sachen Waldumbau. Unser Ziel sind daher vielfältige und strukturreiche Mischwälder.
Neft: Ein oft übersehenes Problem ist auch, dass Nadelholz für die industrielle Verwertung viel geeigneter ist als Laubholz. Würden wir also beispielsweise nur noch auf die Buche setzen, müsste man in Zukunft im großen Stil Nadelholz aus dem Ausland importieren. Im Ausland werden die Wälder aber womöglich viel schlechter geschützt als bei uns. Die Bayerischen Staatsforsten halten also auch an Nadelhölzern fest, aber immer in gemischten Beständen. Gleichzeitig investieren wir in die Forschung, um neue Verwendungs- und Absatzmöglichkeiten für Laubholz zu schaffen, etwa als Verbundstoff.
Neumeyer: Ich denke, das ist ein schönes Beispiel dafür, dass wir noch gar nicht alle Chancen nutzen, die uns der Rohstoff Holz bietet. Früher haben die Menschen in Holzhäusern gelebt, dann kam Stein, dann kam Beton. Jetzt werden wieder Holzhäuser gebaut, was ökonomisch nicht teurer ist und zudem auch einen ökologischen, ästhetischen und einen gesundheitlichen Mehrwert hat. Viele Studien belegen den gesundheitlichen Nutzen von bestimmten Hölzern. Auch in der Bioökonomie hat Holz fantastische Zukunftsperspektiven. Es löst zunehmend fossile Rohstoffe ab, etwa als Textilfaser in Kleidung oder auch als innovativer Ersatz von Plastik. Holz wächst immer wieder nach, hat einzigartige stoffliche Eigenschaften und eine unerreichte Ökobilanz. Wir befinden uns mitten in einem Holzzeitalter. Und die Bayerischen Staatsforsten liefern den Stoff der Zukunft.