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Schutzwald schützen: Jagd im Gebirge

Waldangepasste Wildbestände unabdingbar

So wie Hubert Reiter machen sich viele unserer fast fünfzig Berufsjäger morgens auf den Weg zur Jagd, die meisten davon im Hochgebirge. Gerade dort sind waldangepasste Wildbestände unabdingbare Voraussetzung für intakte Berg- und Schutzwälder. Das ist eine der Lehren aus den späten achtziger und frühen neunziger Jahren. Damals wurden im Rahmen der 1986 gestarteten Schutzwaldsanierung in vielen Regionen hunderttausende Bäume gepflanzt. Allerdings waren die Wildbestände damals viel zu hoch, teilweise wurden ganze Pflanzflächen verbissen und fielen in Gänze aus. Als Konsequenz wurden die Abschussquoten erhöht – gegen zum Teil erheblichen Widerstand von vielen Jägern, die befürchteten, dass die Wildbestände zu stark abgesenkt werden könnten. Die waldbaulichen Erfolge zeigten sich schnell: Fichten, Tannen, Buchen, Bergahorn: Vielerorts entstand wieder der wertvolle Bergmischwald, so wie im Jagdrevier von Hubert Reiter im Forstbetrieb Berchtesgaden.

Nach gut zwanzig Minuten Fahrt über einen Forstweg stellt Reiter sein Auto ab. Nun geht es zu Fuß weiter. Je nach Ziel steigt er bis zu 1200 Höhenmeter auf. Um das Ganze zu vereinfachen, hat er sogar einige kleine transportable Hütten zum Übernachten gebaut, die er nach Bedarf umsetzen lassen kann. Das erspart ihm die Fahrt und den Aufstieg und verhindert die Geräusche, die er dabei zwangsläufig produzieren würde und die das Wild verschrecken könnten. Von den Hütten geht Reiter dann über selbst angelegte Pirschsteige in die Sanierungsflächen. Wohin genau er geht ist kein Zufall, sondern eine Mischung aus Erfahrung und genauer Beobachtung. Und nicht zuletzt spielt auch die Windrichtung eine wichtige Rolle. Der Aufwand für die Jagd im Gebirge, das wird im Gespräch mit Hubert Reiter klar, ist groß. Dass sich Bejagung im Gebirge lohnt, sieht man an den vielen Sanierungsflächen, die in den letzten Jahren aus dem Äser gewachsen sind.

„Nicht zu viel über Jagd reden“

An diesem Morgen ist ein Hochsitz auf der Moosen, einer Windwurffläche, die seit dem Orkan Kyrill Sanierungsfläche ist, sein Ziel. Die Ansitzjagd ist ein wichtiger Bestandteil bei der Erreichung seines Abschussziels. Rotwild erlegt er ausschließlich vom Hochsitz aus, bei dem Gamsen entfallen fast zwei Drittel auf die Pirsch. Dazu kommen dann im Herbst noch viele Drückjagden. Reiter hat jedes Jahr ungefähr die gleichen Abschusszahlen. Das Zusammenspiel aus Ansitz, Pirsch und Drückjagd macht den Erfolg. Auf die Frage, wie viele Stücke das sind, lächelt er – und macht uns mit einer der Grundregeln der Jagd vertraut: „Nicht zu viel über Jagd reden“. Um auf den vorgegebenen Abschuss zu kommen, braucht es solides handwerkliches Können, eine gute Intuition und viel Erfahrung. Reiter kennt sein Revier seit vielen Jahren, er führt Buch darüber, wann er wo Wild erlegt, welche Jahreszeit für welche Fläche die Beste ist. Eine Sache, so erklärt Reiter, gilt es zu vermeiden: ein fester Rhythmus. Die Tiere lernen das schnell, der Weg zum Erfolg heißt Unregelmäßigkeit. Reiter hält deswegen auch nicht viel von permanent hohem Jagddruck: „Man kann auch Flächen überjagen. Das Wild stellt sich darauf ein, der Aufwand, um ein Stück zu erlegen, wird immer größer“. Besser sei es, so Reiter, den Druck kurzzeitig zu erhöhen, möglichst gleich mehrere Stücke zu schießen – und dann woanders weiter zu machen. Auch das ist ein Stück Erfahrung, die er sich über viele Jahre angeeignet hat.

Für Reiter gehört die Jagd seit seiner Kindheit zum Alltag, er hat daher einen sehr pragmatischen Zugang zu dem Thema. Aufgewachsen auf einem Bauernhof ganz in der Nähe seines heutigen Wohnortes Unterjettenberg, mit dem die Jagd schon in der dritten Generation verbunden ist, begleitete er Großvater und Vater schon früh auf den Hochsitz. Das Jagen liegt sozusagen in der Familie, und so war es für ihn eigentlich fast zwangsläufig, dass er nach einer Zimmererlehre sein Hobby Jagd zum Beruf machte. „Mir ist es am liebsten, wenn ich selbstständig arbeiten kann, viel draußen in der Natur bin und eine relativ freie Zeiteinteilung habe“, erzählt Reiter. Der ideale Beruf also? Reiter lacht: „Für mich schon. Man sollte nur nicht mit einer allzu romantischen Vorstellung an die Sache rangehen. Für mich ist die Jagd mein Beruf. Ein schöner Beruf, den ich auch liebe, aber mit verklärten Ludwig-Ganghofer-Jagdgeschichten hat das wenig zu tun. Dazu ist der Beruf schlichtweg zu anstrengend – und zu konfliktreich.“

Respektvoller Umgang miteinander wichtig

Hat er Verständnis für Jäger, die höhere Wildbestände fordern? „Jeder will seine Freizeit optimal nutzen. Wenn jemand als Hobby in seiner Freizeit zur Jagd geht, will er auch was schießen. Dafür braucht er einen hohen Wildstand. Die BaySF hat vorrangig den Wald im Blick.“ Reiter spricht damit nicht nur gesetzlichen Auftrag an, sondern auch eine waldbauliche Überzeugung. Gemischte, strukturreiche und damit stabile Wälder sind im Staatswald das Ziel. Im Gebirge erfüllen diese Wälder zudem eine ganze Reihe von Schutzfunktionen und die gilt es zu erhalten.

Reiter spricht damit jedoch ein Spannungsfeld an, in dem sich viele jagende Kollegen bewegen. Die Ansichten, wieviel Abschuss der Wald braucht, gehen weit auseinander. Die Forstbetriebe der Bayerischen Staatsforsten erstellen für ihre Jagdreviere Abschusspläne, die von den unteren Jagdbehörden an den Landratsämtern bestätigt bzw. abweichend festgesetzt werden. Basis dafür ist das Traktverfahren, mit dem sich der Verbiss sehr gut kontrollieren lässt. Trotz dieses Messverfahrens sind die Meinungen, wie viel Wild bzw. wie viel Verbiss für den Wald verträglich ist, teilweise weit auseinander. Für Hubert Reiter ist das zunächst kein Problem. Er hat mit dem Abschussplan eine Arbeitsgrundlage, an die er sich hält. Zum anderen beherzigt er einen recht pragmatischen Ansatz: „Wichtig ist der respektvolle Umgang miteinander. Man kann ja unterschiedliche Meinungen zu einem Thema haben, nur sollte man sachlich bleiben.“ Was er nicht ausstehen kann, sind unreflektierte und abgestandene Stammtischparolen. Das vergiftet ein Stück weit die Diskussion, sagt Reiter. Wenn es zu Konflikten kommt, versucht Reiter die Wogen zu glätten. „Laut werden“, erklärt er, „ist mit Sicherheit der falsche Weg. Man muss den Leuten erklären, dass ausreichend junge Bäume unverbissen aufwachsen müssen, damit die zu sanierenden Flächen später auch ihre Funktion erfüllen.“

An diesem Morgen hat Reiter übrigens kein Jagdglück. Nach gut drei Stunden sind sind seine beiden Hunde Burgl und Liesl wieder im Auto. Das Auto rollt langsam den Forstweg hinunter und Hubertus Reiter freut sich auf sein Frühstück.